El Calafate und seine Bewohner

Der erste Tag in El Calafate verlief wenig ereignisreich. Ich musste mich zunächst um meine spätere Weiterfahrt nach Puerto Natales in Chile kümmern. Vor dem Busterminal schlief eine Anzahl von Hunden. Einige von ihnen konnten sich trotz der Klapptüren in das Gebäude stehlen und dort einen angenehmeren Schlafplatz vor einem der an der Wand aufgereihten Öfen zu finden. Wenn man eines der Tiere zu lange anschaut oder sogar anredet, hat man einen schwanzwedelnden Begleiter für die nächsten Stunden gefunden.

Überhaupt gibt es in der Stadt beinahe ebenso viele Hunde wie Einwohner. Die Vierbeiner streifen in Rudeln durch die Straßen, bleiben dabei aber stets freundlich. Nur hin und wieder verfolgen sie wütend bellend ein Auto. An der einzigen Hauptverkehrsstraße reiht sich ein Souvenirgeschäft an das nächste, nur unterbrochen von Restaurants, die als Spezialität patagonisches Lamm anbieten. Einige Lämmer hängen aufgespießt und gut sichtbar im Eingangsbereich, wo sie über offenem Feuer gegrillt werden. Gleich nebenan im Laden kann man auch Lämmer kaufen, nur haben diese noch ihr Fell und schauen freundlich winkend aus Mate-Tee-Kalebassen.

Meine Aufmerksamkeit richtete sich auf ein großes Holzhaus, das einer Estancia nachempfunden wurde, aber ein Informationszentrum über den Nationalpark Los Glaciares beherbergt. Neben einigen Tafeln zum Aufbau von Gletschern stellt das Zentrum gerade Fotografien aus, die das hier einst lebende Volk der Tehuelche zeigt. Eröffnet wurde die Ausstellung von der noch amtierenden Präsidentin Cristina de Kirchner, wie man auf einer goldenen Plakette neben der Eingangstür lesen kann. Lange Zeit hat sich Argentinien nicht um die Geschichte seiner Ureinwohner gekümmert. Das mag auch damit zusammenhängen, dass im Gegensatz zu vielen anderen lateinamerikanischen Ländern der Anteil der Urbevölkerung und ihrer Nachkommen äußerst gering ist. Viele starben an den aus Europa eingeschleppten Krankheiten oder wurden auf Betreiben der reichen Schafbarone einfach abgeschossen. Das Bewusstsein und das Interesse an der Geschichte der Ureinwohner scheint nun aber zumindest hier in Patagonien endlich geweckt worden zu sein. Natürlich nicht ohne Zutun der amtierenden argentinischen Regierung.

Die Schwarzweißfotos zeigen Porträts von Häuptlingen und Gruppenporträts ganzer Tehuelche-Familien, einige von ihnen in vollständiger Stammeskleidung. Die meisten tragen jedoch abgerissene europäische Kleider, die nur vereinzelt durch stammestypische Elemente wie etwa durch ein Stirnband oder Schmuck ergänzt werden. Ich sehe Menschen, die mit ihrem Land alles verloren haben. Ihre Blicke sind leer und ohne Hoffnung, aber nicht ganz ohne Würde, wie man auf dem Foto sieht, das eine Gruppe berittener Tehuelche zeigt. Es scheint beinahe so, als ob die Pferde einen Teil der Kultur bewahrt haben, die die Tehuelche selbst schon vor langer Zeit aufgeben mussten. Vor allem aber hat ihnen der Fotograf ihre volle Würde zurückgegeben, indem er ihnen im wahrsten Sinne des Bildes auf Augenhöhe begegnet ist.

Auch bei den Tehuelche schienen Hunde zum Alltagsbild zu gehören, als Spielgefährte für die Kinder oder als herumstreunende, geduldig auf Essensreste wartende Begleiter der täglichen Geschäfte. Die Hunde jedenfalls sind geblieben, die Tehuelche aber haben Patagonien für immer verlassen.

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